Sterben und Werden – über die Endlichkeit und das Leben dazwischen
- Jessica Kaltenbach
- 4. Nov.
- 3 Min. Lesezeit

Der November trägt eine besondere Stille in sich. Die Blätter fallen, die Luft ist klar, und die Tage scheinen sich zu verlangsamen. Alles wird stiller – in der Natur, im Außen, und oft auch in uns.
Es ist die Zeit des Loslassens, des Abschieds, des Zurückziehens ins Innere. Vielleicht ist es kein Zufall, dass gerade jetzt viele von uns mit dem Thema Vergänglichkeit in Berührung kommen.
Heute möchte ich den Weg eines geliebten Menschen, der sich auf seine letzte Reise gemacht hat, zum Anlass nehmen, innezuhalten und zu teilen, was mich gerade bewegt.

Ein vertrauter Mensch ist gestorben – und mit ihm ist etwas in Bewegung gekommen: in mir, im Leben, im Wahrnehmen.
Nicht zum ersten Mal gehe ich diesen Weg. Und doch fühlt er sich jedes Mal anders an – immer wieder neu, auch zart und fordernd, ja sogar lehrend..
Ich bin mir sicher, dass jeder von uns schon einmal auf seine eigene Weise mit dieser ganz eigenen Atmosphäre in Berührung gekommen ist –in einem Abschied, einer Trennung oder in einer inneren Wandlung, die uns an die Zerbrechlichkeit des Lebens erinnert hat.
Solche Erfahrungen öffnen uns. Sie holen uns zurück ins Hier und Jetzt, dorthin, wo das Leben wirklich geschieht.
Sie geben uns zu erkennen, dass nichts selbstverständlich ist – weder das Atmen noch das Lieben, weder das Aufstehen noch das Dasein eines anderen Menschen.
Vielleicht liegt genau darin das Geschenk, das im Sterben verborgen ist:
die Erinnerung an das Leben selbst.
Je näher man diesem Thema kommt und es bewusst zulässt, desto stiller wird es in einem.

Ich beginne zu begreifen, dass die Auseinandersetzung mit dem Tod kein Ende bedeutet, sondern eine Einladung, bewusster zu leben – in Tiefe, Echtheit und Liebe.
Paradox: Wir verlieren die Angst, wenn wir hinschauen. Und gewinnen das, was wirklich zählt: Verbundenheit, Dankbarkeit, Demut.
Wer weiß, wann unsere Stunde gekommen ist?
Wer weiß, wie oder wo wir einmal gehen werden?
Doch bis dahin können wir lernen, uns bewusst zu verabschieden.

Uns auszusprechen, zu vergeben, zu sagen, was gesagt werden möchte. Verletzungen, die wir tragen, dürfen in Liebe gehen. Und die, die wir verursacht haben, dürfen wir anerkennen und heilen.
So entsteht Frieden – im eigenen Herzen und zwischen uns.
Es gibt Bücher, die diesen Weg begleiten – still, tief und weise. Eines davon ist „Über das Leben und Sterben“ von Sogyal Rinpoche,
ein anderes „Dem Tod ins Gesicht sehen“ von Stephen Levine, und auch
„Friedvoll sterben“ von Elisabeth Kübler-Ross öffnet ein sanftes Verständnis für die letzten Schritte auf Erden. Sie alle laden dazu ein, nicht erst am Ende zu beginnen, über das Wesentliche nachzudenken,sondern mitten im Leben – jetzt.
Und ich spreche allen, die in dieser Zeit einen lieben Menschen gehen lassen müssen, mein tiefstes Mitgefühl aus.

Lasst ihn gehen – auf seine Weise. Haltet ihn nicht unnötig fest. Das Leben ist eine Erfahrung, und wenn ein Mensch geht, hat ER oder SIE diese Erfahrung gemacht und bereitet sich schon auf die nächste vor.
Lieben bedeutet Loslassen?!
Wohl das Schwerste, das wir hier zu lernen haben - welch Ironie!
Wenn wir Abschied nehmen, kommen oft Gefühle an die Oberfläche, die wir lange zurückgehalten haben – Trauer, Wut, Schuld, Sehnsucht. Nichts davon ist falsch.
Im Gegenteil: sie wollen gesehen werden, weil sie Ausdruck der Liebe sind.
Im Loslassen darf alles da sein – Tränen, Stille, Berührung.
Es muss nichts mehr zurückgehalten werden.
Vielleicht ist das der Moment, in dem wir einander und uns selbst wirklich begegnen.
Vielleicht geht es genau darum: nicht erst am Ende zu lernen, was Leben heißt, sondern mitten darin – in jeder Begegnung, in jeder Berührung, in jedem Atemzug, in diesem einen Moment, der nie wiederkehrt.

Ich bin unendlich dankbar, dass Du mir das gezeigt hast - gute Reise!




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